Ich mache alles richtig. Bin fehlerlos, bin mir nie einer Schuld bewusst. Die Andern sind es, die jeweils in diesen oder jenen Fettnapf treten. Die die Parkzeit nicht einhalten, die im Bus schwarz fahren. Die ihren Hund nicht an der Leine führen, die einfach mal so auf den Boden spucken.

Daniel ist einer derjenigen. War früher mein Freund. Je älter er wurde, desto mehr verlor er Anstand und Respekt. Kennt heute weder die Worte «Bitte» und «Danke», noch «Grüezi» und «Auf Wiedersehen». Belegt im Zug mit seinem Krimskrams den Sitz neben sich, legt seine Füsse ungeniert aufs Polster. Drängt sich vor, wann und wo auch immer. Zettelt diesen und jenen Streit an, grundlos. Im Winter ist es ihm zu kalt, im Sommer zu warm. Macht aus einer Mücke einen Elefanten. Wettert gegen Kebab und Döner, wünscht sich McDonald auf den Mond. Gebärdet sich derart selbstherrlich und arrogant, zum Kotzen. Unsere Freundschaft begann, nach Jahren der einseitigen Toleranz, zu bröckeln. Schämte mich mehr und mehr an seiner Seite. Begann mir Ausreden zurechtzulegen, verschob Termine auf unbestimmte Zeit.

Samstagmittag, bin auf dem Motorschiff «Gotthard» in Richtung Luzern. Zusammen mit meiner Frau. Wir gönnen uns die Fahrt auf dem Oberdeck. Niemand da, nur wir Zwei. Gemeinsam geniessen wir, jeder auf seine Weise, das einzigartige Panorama, die frische Seeluft, die harmonische Stimmung. Sonja mit Bruce Springsteen im Ohr, ich in der Rechten ein Bier, in der Linken Kugelschreiber und Papier, die Füsse auf der Stuhllehne vor mir. Dies anscheinend im Blickfeld des diensthabenden Offiziers. Pflichtbewusst nähert er sich mir. Im Wissen, etwas getan zu haben, was man nicht tun sollte, stelle ich sie reaktionsschnell wieder auf den Boden. Bestimmt, mit einem zähneknirschenden Lächeln in den Mundwinkeln, stellt der Mann in Uniform beim Vorbeigehen fest, dass ich meine Füsse nun doch wieder runtergenommen habe.

Steckt nicht in jedem von uns hin und wieder mal eine Restmenge an Daniel?